Die Freuden der wissenschaftlichen Arbeit

Ein kleiner Fund aus einer eher zufälligen Lektüre möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten, zumal da ich die überaus große Freude habe, ein Standard-Nachschlagewerk zu zitieren, das sowohl durch die Qualität seines Verlags als auch durch seine Verbreitung über jeden Zweifel erhaben ist. Ich fand Folgendes gesagt zum Thema Frühzeit der Stadtentwicklung:

Dieser “verständige Mensch” (lat. homo sapiens sapiens) trat “ziemlich unvermittelt” vor ca. 40.000 Jahren auf, frühe Funde als allen Kontinenten zeigen eine im Typus relative Einheitlichkeit:

(…)

5. Er ist das einzige mit einer Individualseele begabte Lebewesen; dies bezeugen Religion und Wissenschaft; um dieser Seele Willen bestattete der frühgeschichtliche Mensch die Verstorbenen mit Opfergaben “für die lange Reise”.

Diese Feststellung wirft natürlich eine Menge Fragen auf. Anfänglich möchte man einfach nur die Belegstellen aus der psychologischen oder medizinischen Fachliteratur haben, in denen die menschliche Individualseele belegt wird. Eine derartig revolutinäre wissenschaftliche Erkenntnis ist ja in ihrer Sprengkraft nur mit einem Gottesbeweis zu vergleichen, da würde man sich nur zu gerne einer vertiefende Lektüre widmen.

Erst beim wiederholten Lesen jedoch erschließt sich die volle Schönheit dieses Absatz, dessen nebulöse Mehrdeutigkeit die eigenen Gedanken langsam ins Metaphorische, wenn nicht gar Metaphysische abdriften lässt. So belegt die Wissenschaft ja die Seele gar nicht, sondern bezeugt sie nur, und wer könnte abstreiten, das es christliche Wissenschaftler gegeben hat? Beeindruckend die schlafwandlerische Sicherheit, die dem Autor das glasklare Wissen um die genauen Gedanken und Absichten derer verschafft, die vor 30.000 Jahren ihre Artgenossen in Spanien bestatteten, und die selbstverständlich vom gleichen Geist beseelt waren wie die ersten Bauern des Indus- und des Yangtse-Tals, als sie ihre Verstorbenen begruben.

Aber there’s more to it than meets the eye, wie der Engländer sagt. Lassen wir für eine Sekunde die brilliante Verwendung der Interpunktion beiseite, die Zusammenhänge suggeriert, wo nicht einmal die Muse Assoziation ihr hübsches Köpfchen heben dürfte, und widmen uns der Terminologie: “Individualseele”. Die Schlußfolgerung, dass es also auch eine Kollektivseele geben muß, liegt auf der Hand, anderenfalls wäre die Verwendung des Vorsatz “Individual” gegenstandslos. In diesem Satz klingt an, das andere Lebewesen zumindest über Gruppenseelen verfügen könnten, wieviele Kühe man jedoch braucht, um eine vollfunktionierende Seele zu bekommen, oder ob die Gattung der Frösche samt und sonders zur Hölle fahren wird (wegen damals in Ägypten und so), oder vielleicht nur eine Unterart, bleibt leider unklar. Vielleicht meint der Satz aber auch nur, das Gruppen von Menschen ebenfalls eine Seele besitzen, die vielziterte Seele der Deutschen mag hier angedacht sein – aber auch hier bleibt bis zuletzt ungesagt, wieviele Deutsche wirklich zusammenkommen müssen, um Seele zu verspüren, und ob die Gruppe der arbeitslosen Stahlarbeiter auch bereits eine besitzt, und inwiefern sich diese strukturell oder qualitativ von der Seele neapolitanischer Drogenstricher unterscheidet. Inwiefern besonders der Seele zugewandte Orte (Eckkneipe, Südkurve, Erschießungspeloton) diese Zahlen beinflussen, kann nur spekuliert werden.

Bevor jedoch hier endgültig die Analyse zur Exegese wird, sei Einhalt geboten. Über den zweiten Satz

“Wann der Mensch seine natürliche Hemmung durchbrach, seine eigenen Artgenossen zu töten, ist nicht erwiesen. Nach dem Zeugnis eines Hirtenvolks war es der sesshafte Bauer KAIN der Schäfer ABEL erschlug (Gen. 4.8.). Die Gefahr des Brudermordes unter den Menschen erforderte baulichen Schutz vor den Nachbarn.”

ist dann nicht mehr viel zu sagen, immerhin komprimiert der Autor die Entstehung der Stadt in wenige Zeilen und kann sich auf den folgenden Seiten wichtigeren Dingen zuwenden, wie z.B. der wissenschaftlichen Methode.

(Beide Zitate aus: Jürgen Hotzan, dtv-Atlas zur Stadt. Von den ersten Gründungen bis zur modernen Stadtplanung, München 1993, S. 13)

Its Weihnachten, and I want Mailand back

When I recieved my usual mail from my energy company wishing me “Frohe Weihnachten” – Merry christmas, a friend remarked to me that christmas wishes like those would provoke an outrage in the US or the UK. It has obviously become political consent that in order not to exclude those who don’t celebrate christmas, these days have to be called “Holidays”. At least this was a hotly debated topic in the US some years ago.

Now while I usually subscribe to the view that sensibilities of different groups should be taken seriously, I do prefer tolerance over sensibility here. Straigthjacketing peoples language is essentially a sign you don’t trust their intentions, and it sacrifices parts of a culture we grew up in for a benefit that seems to elude me. I do wish my turkish friends here a Happy Ramadan if I recognize that it is coming up (and am happy to be lecured that you don’t wish Happy Ramadan but say something different instead. Teach me). If I travel to Mexico, I would expect people to wish me “Feliz Navidad” – or, if they would want to be polite, “Frohe Weihnachten”, just as I would try to be polite and come up with something in spanish. What I object to in this case is not as much the idea to accomodate everyone, but the loss of variety that results if you melt all into one.

After all, it would be ludicrous to object someones greetings in his native tongue, and this is pretty much replacing politeness with moral compulsion. The same way it has become very fashionable to refer to towns in their native name instead of the existing name in ones language – People say Milano instead of using the german Mailand, or they use Warzawa instead of Warschau. I do understand that for a good part of the last sixty years the Polish were pretty suspicious of german intentions towards their former provinces, and had good reason to do so, since the germans took until 1990 to accept they wouldn’t get East Prussia back. But nowhere does anyone assume the US plan on incooperating Bavaria as a 51st state if they call it that instead of “Bayern” and they board planes to Munich instead of “München”.  And frankly, neither do I want another five new deindustrialized states with ancient industries that would suck up my tax money as subsidies, not am I particularily in favour of resurrecting the old Hohenstaufen Empire and its habit of letting its armies getting slaughtered at the gates of Mailand in its eternal quest to rebuild a Roman Empire.

I am, however, very much in favour of tolerance meaning to let people call things as they want to, and trust them that not every deviation from the path of the wise results in an insult or a discrimination. Sure, there are very fine and subtle ways of debasing someone, but for all what its worth we won’t be able to eliminate all mechanisms of distinction from this society, and frankly, I doubt we would really want that. And there is ample room to call all the racists, antisemitists, sexists and dickheads of this world by their name in any language.

P.S.: I am, per definition, part of the majority, thus my thoughts on those questions have to be taken with a grain of salt – I have rarely experienced discrimination, and therefor can’t properly speak for those who have and might have more right to stand up and demand changes. If I should ever meet someone that claims to be offended by the use of “Stettin” or “Frohe Weihnachten”, I will sit down with him or her and listen, and, maybe, change my mind.