Point of Failure

Einer dieser Tage, an denen man hinterher mal wieder weiß, dass man es alles hätte sehen können, und das man jetzt schlauer sein müsste, aber man den Verdacht nicht loswird, dass genau dieser Zugewinn an Weisheit ausbleiben wird.

Angefangen hat es damit, das die Festplatte meines Rechners zu klein wurde. Zwischen Scans und Urlaubsfotos und Mails blieb keim Platz mehr für die riesigen Kartendateien, mit denen meine Freundin neuerdings jongliert. Erst randalierte die Systempartition, und nachdem wir die Daten auf eine andere Partition verschoben hatten, fing es auch bald da an zu klemmen. Kein Problem, ich habe doch noch eine ausgediente 250-GB-Platte im Schrank – weit mehr als wir beide benötigen werden. Und da die alte Installation auch schon wieder etwas Bitfäule hat wegen dauernden Neuinstallationen und Updates, entscheide ich mich für eine Neuinstallation, anstatt die Platte einfach zu klonen.

Dauert alles ein bisschen, wie man weiß, die ganzen Helferchen und kleinen Dienstprogramme runterzuladen und zu installieren, alle Treiber zu überprüfen, dem Browser zu sagen wo seine Bookmarks sind und Thunderbird so lange mit der Nase in die Mails zu drücken, bis alles wieder an seinem Platz ist. Sonnt Abend war ich soweit, da eröffnete mir meine Freundin, das auf der alten Installation Freitags zum ersten mal seit einem Jahr alle die komplexen Grafik-GIS-Progrme so gelaufen seien, wie sie sich das gewünscht habe. Talk about bad timing, oder besser: schlechte Vorbereitung: ich hatte ihr ja zugesagt, sie könne meinen Rechner verwenden. Also hektische Nachinstallation, mit zu erwartendem Ausgang: Montag morgens im Büro blinzelt mich mein Skype an:  Das letzte der Programme verweigert er, aus unbekannten Gründen, er registriert die DLLs nicht, und per Telefon lässt sich das Problem auch nicht lokalisieren.

Also die Notbremse: Stromkabel aus neuer Festplatte rupfen, mit der alten Platte booten, und bei zwei Leuten ist die Stimmung dauerhaft im Keller. Fehleranalyse: Mangelnde Kommunikation. Ich habe Spaß am Basteln – mir tut es ja auch nicht weh, wenn der Rechner mal drei Tage nicht alles macht, was er soll – schlimmstenfalls kostet es Zeit, bestenfalls lerne ich was dabei. Das jemand sich auf mich und die Verfügbarkeit dieser Kiste verlässt, hatte ich nicht mitbedacht, und Sie hatte verschlumpft, mir die Dringlichkeit klarzumachen. Es gibt ja auch spannenderes, über was man reden kann, als ausgerechnet Computer.

Requiem für einen Server

Heute habe ich Abschied genommen von dem wohl ältesten Stück Hardware, das noch wirklich Dienst tat. Ich habe das schwere Stück heute Morgen die Treppen heruntergetragen und im Hausflur abgestellt und einen Klebezettel darangepappt, der jedem mitteilt, das unser ehemaliger Fileserver nach neuen Aufgaben sucht. Nach meiner Erfahrung kann in Kreuzberg immer jemand einen PC gebrauchen, egal, wie alt er ist.

Ich muß gestehen das ich nicht einmal weiß, wie alt er ist – ursprunglich stammt er von meinem besten Freund und ehemaligen Mitbewohner. In unserer WG der Roten Bilche in der Schönhauser Allee Mitte der Neunziger diente er als Fileserver, ein großer, schwerer Tower mit vier lustigen Plastikfüßen, die unter dem Gehäuse rausschauten und drehbar waren, grau natürlich wie alle Hardware der Zeit. Ein Pentium III mit 300 MHz und für die damalige Zeit stolzen 256MB Arbeitsspeicher, rechtfertigte er seine Größe vor allem mit einem Kasten im hinteren Teil des Gehäuses, in den drei oder vier weitere Festplatten montiert werden konnten, die dann über einen RAID-Controller angeschlossen wurden. Wir gingen früh daran, unsere CD-Bestände (und die unserer Freunde) als MP3 zu enkodieren, und der Server versorgte damals die gesamte WG mit Musik.

Ende der 90er dann mit der Gründung unserer Firma wurde ernsthaft aufgerüstet. Nicht nur, dass mein Mitbewohner in jedes Zimmer zwei bis vier Buchsen für unser 100 MBit-Netzwerk verlegte und dafür mehrere tragende Mauern mit einem großen Profi-Bohrer durchlöcherte, wir bekamen auch einen Server-Schrank mit “richtigen” Servern, flachen, tiefen Metallschachteln aus schwarzem Blech mit schick designten Frontblenden. Neben dem zwei Meter hohen Serverschrank verblasste der ehemalige Herr im Haus und wurde ohne zu Zögern in Rente geschickt.

Was mein Mitbewohner in der Zwischenzeit mit ihm tat weiß ich nicht, aber bald nach der Auflösung unsererer WG kam der alte Rechner zu neuen Ehren. Von seinen Leistungen her war er schon lange zu veraltet für richtige Aufgaben, aber er war genau dass, was ich als finanzschwacher Student benötigte, da ich ihn ebenfalls nur dazu verwenden wollte, ein paar Festplatten am Laufen zu halten. Ich erhielt ihn für einen Freundschaftspreis und begann, ihn wieder mit Festplatten zu bestücken, um meiner ausufernden Datensammlung Herr zu werden. Aus lauter Freude an der Provokation nannte ich ihn “Stalin”, womit er sich in mein kleines, “Komitee” benanntes Hausnetzwerk gut einfügte. Zunächst ausgestattet mit 120GB-Platten, stand er ab sofort neben meinem Schreibtisch und wurde immer dann angeschaltet, wenn ich mal wieder genug gescannt oder encodiert hatte, um meinen Arbeitsrechner zu überfordern. Ein weiterer Vorteil seiner Größe war, dass mein Scanner auf ihm Platz fand, der anderenfalls meinen Schreibtisch belegt hätte. Mit den Jahren tauschte ich die 120er gegen 250er Festplatten aus, und ganz am Ende kam sogar noch eine letzte 500-GB-Platte dazu.

Was Stalin schließlich den Garaus machte, war weder der Einzug meiner Freundin, noch Altersschwäche, es war das Ende der ATA-Festplatten. Wie fast alle technischen Neuerungen erfuhr ich auch von dieser von Lars, der mir von einem “Festplatten-Dock” berichtete, dass er für wenig Geld bei dem Hardware-Händler unseres Vertrauens gesichtet hatte. Eine überdurchschnittlich ausfallende Steuerückzahlung stattete mich dann diesen August mit den notwendigen Mitteln aus, und so kam ich eines Abends im Ende August mit einer kleinen billigen schwarzen Plastikschachtel und zwei der neuen S-ATA-Festplatten nach Hause. Die Schachtel klemmt man mit USB an den PC, und die Festplatte wird unverpackt und roh in einen Schacht auf der Oberseite der Plastikbox gerammt – und sofort vom Rechner erkannt. Eine billige und simple Technik, die für mich zumindest jeden Fileserver überflüssig macht, da ich die benötigten Festplatten einfach in der Schublade liegen haben kann.

Nach einer kurzen Gnadenfrist kam dann also gestern das Ende für den guten alten Stalin – ich schraubte sämtliche 5 Festplatten aus ihm heraus und verschloss das Gehäuse dann notdürftig. Sollte ich einmal die Zeit finden, werde ich die alten Platten auf die neuen schicken S-ATAs rüberkopieren, in der Zwischenzeit lagern sie einfach im Regal. Und Stalin steht nun im Hausflur und wartet auf eine dritte Chance, seine Nützlichkeit zu beweisen. Ich wünsch ihm Glück, und einen besseren Namen.