Adoleszentrifikation?

Alle halbe Jahr wird ja in Berlin ein neues Stadtviertel oder ein neuer Kiez gehyped. Nachdem das Stadtmagazin zitty im Sommer bereits das nördliche Neukölln, das bisher vor allem als Schlafstadt für Studenten aufgefallen war, als Kreuzkölln zur neuen In-Zone ausgerufen hatte, kontert der ewige Klassenzweite tip nun mit Moabit. Der nördlich des Tiergarten gelegene, recht amorphe Bezirk wird den meisten Zugezogenen nur als Heimat des gleichnamigen Knasts ein Begriff sein, aber wer weiß, neuerdings rockt es vielleicht auch dort. Letztes Jahr war es die Gegend ums Schlesische Tor, wo jetzt ganz viele Reklameleute mit Langeweile hausen, davor die doch stark überschätzte Simon-Dach-Straße, demnächst vielleicht wieder mal Schöneberg? Auf Partyberichte aus Buckow werden wir dagegen wohl noch eine Weile warten müssen – wobei die Straßenfeste zumindest verkehrssicher sind.

Bei mir im Kiez grassieren derzeit Flugblätter, die zum Widerstand gegen die Mieterhöhungen aufrufen. Die Oranienstraße hat sich in den letzten Jahren merklich verändert, es machen jetzt Cafes auf die innerlich auf den Helmholtzplatz schauen, und die Vergrößerung des Hostels am Ende der Adalbertstraße ins Gigantische hat dafür gesorgt, dass der Zustrom an latte-durstigen Italienern und Spaniern auch im Winter nicht abreißt. Als ich vor mehreren Jahren in meine jetzige Wohnung einzog, war die Hälfte des Hauses von türkischen Familien bewohnt – heute gibt es nur noch eine türkische Familie im Parterre, die freiwerdenden Wohnungen haben Studenten-WGs in Beschlag genommen. So weit alles aus dem Handbuch der Gentrifizierung, wo bekanntlich Studenten auf Sozialschwache, Kreative auf Studenten und Reiche auf Kreative folgen und Penthousebewohner mit Koksspuren auf dem Armaturenbrett ihres SUV quasi die Spitze der Nahrungskette darstellen.

Nun flatterte mir allerdings vor einigen Tagen beim Freiräumen meines Schreibtischs meine Betriebskostenabrechnung meines Vermieters vor die Füße, die irgendwann im September eingetroffen war – eine dieser “Nachrichten aus der Scheinwelt” wie Michael Stein diese Dinge so schön zu benennen pflegte, Nachrichten, die man bestenfalls wahrnimmt, wenn sie durch Mahnungen und Fristsetzungen eine gewisse Penetranz entwickeln. In diesem Fall offenbarte eine zweite Lektüre erstaunliches: Rückzahlungen, damit verbunden: eine Senkung der Abschlagszahlungen, zu deutsch: Eine Mietsenkung.

Davon hatte ich tatsächlich noch nie gehört. Ein Vermieter, der freiwillig weniger Geld nimmt?  War das schon die im Economist befürchtete Stagflation, die sich hier breitmachte? Der Kollaps der Immobilienblase erreicht Kreuzberg? Und was tun die Profiteure und Antreiber der Gentrifizierung, Macbook-Hirten, Esoladentanten und Shiazu-Masseure? Morgens länger heiß duschen, um die Studenten loszuwerden? Raus mit dem Okö-Isolierglas, Heizen bis der Ofen glüht, und Abends extra lange das Licht an?

Falls ich nicht im absolut einzigen Haus wohnen sollte, in dem dieser unerhörte Vorgang einer Mietsenkung seinen Fortgang nimmt, sehe ich schwarz für den Protest gegen Edelsanierungen.

Beware the Wolf

This morning on the way to bakery I noticed that two of the three posters along the way that announced the Jewish Culture Festival had already been torn apart over night. Its funny how those crying the loudest for freedom are the first to deny the same thing they want to others they dislike. Actually, its not funny at all.